Werkverzeichnis

Das Herzstück des AKRP – Angelika Kauffmann Research Project ist das in Vorbereitung befindliche Kritische Werkverzeichnis Angelika Kauffmann / Catalogue Raisonné Angelica Kauffman, in dem erstmals das Gesamtwerk der Künstlerin zusammengestellt, systematisch untersucht und diskutiert wird. Die mehrbändige Publikation wird von Bettina Baumgärtel herausgegeben.

Ziel ist es, alle Gemälde, Zeichnungen, Radierungen mit allen Druckzuständen sowie die graphischen Reproduktionen nach Kauffmanns Werken so umfassend wie möglich zusammenzutragen, kunsthistorisch zu erforschen und in einem wissenschaftlichen Katalog zu dokumentieren.

Begleitend dazu wird in Zusammenarbeit mit Gabriele Ewenz eine Datenbank aufgebaut mit:

  • einem Quellenkorpus, einer Dokumentation teils noch unpublizierter Quellentexte mit Kommentierung,
  • einer weitgehend vollständigen Bibliographie (z. Z. 2500 Einträge),
  • einem Orts- und Personenregister,
  • einem Index der Standorte und Titel der Werke etc.

Schon zu Lebzeiten wurden die Werke der Künstlerin entsprechend ihrer internationalen Auftraggeberschaft vor allem in England, Schottland und Irland, in Österreich und der Schweiz, in Polen, Italien, Frankreich, Skandinavien, dem Baltikum und Russland, auch in den USA und in Australien, rege gehandelt und mit großer Begeisterung gesammelt. Wegen der großen Nachfrage hat Kauffmann selbst Repliken nach eigenen Gemälden hergestellt. Auch Kopisten und Fälscher nutzten die Gunst der Stunde.

Im Falle von Angelika Kauffmann übertrifft die Zahl der abgeschriebenen Werke, einschließlich der Kopien und Nachahmungen, längst den Umfang der eigenhändigen um mehr als das Doppelte.

Abb. 49 A. Kauffmann abgeschrieben und Antonio Zucchi zugeschrieben: Das Bankett von Dido zu Ehren von Aeneas, 1770, Bregenz, vorarlberg museum © Bregenz, Vorarlberg Museum
Abb. 49 A. Kauffmann abgeschrieben und Antonio Zucchi zugeschrieben: Das Bankett von Dido zu Ehren von Aeneas, 1770

Solange das Œuvre von dieser Flut von Falschzuschreibungen belastet ist, bleibt der Eindruck vom Schaffen dieser Künstlerin verfälscht. So wenig man Kauffmanns künstlerische Leistung unter diesen Umständen gerecht beurteilen kann, so wenig fair ist es gegenüber dem eigentlichen Urheber, ihm nicht sein Werk zurückzugeben (Abb. 49, PDF-Datei).

Die Arbeit am kritischen Werkverzeichnis – das legt der Begriff nahe – sollte immer von der Frage nach dem Werk ausgehen und mit kritischer Reflexion begleitet werden. Zu fragen ist, was wir unter einem Werk verstehen, wann es als vom Künstler autorisiert gelten kann und wie hoch der Anteil sein muss, der von der Hand des Meisters stammt, um es als Original gelten zu lassen.

Ein Werk ist selbstverständlich mehr als seine reine Materialität. Zu ihm gehören sein geistiges Potential und seine Geschichte, eng verbunden mit der Geschichte des Auftraggebers und Eigentümers. Es hat eine spezifische, manchmal auch wechselnde Funktion im kulturellen Kontext als Sammelobjekt oder Handelsware. Es entfaltet eine spezifische Wirkung auf Ausstellungen und kann Teil einer (musealen) Präsentation sein, d.h. es besitzt eine Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. Auch seine materielle Veränderung (z.B. Übermalung, Verkleinerung, Zierrahmen) kann ein Hinweis auf eine sich wandelnde Geschmacksgeschichte sein. Für alle diese Fragen stellt das kritische Werkverzeichnis einen Fundus von Fakten bereit.

Das AKRP hat in Anbetracht dieser Überlegungen seine Kriterien zur kritischen Katalogisierung eines Werkes immer mehr ausgebaut und verfeinert. Es hat standardisierte Maßnahmen zur Entwicklung einer differenzierteren Zuschreibungskritik entwickelt, so dass die Frage echt oder falsch heute fundierter beantwortet werden kann.

Während vielfach im schnelllebigen Kunsthandel nur zwischen eigenhändig oder nicht eigenhändig unterschieden wird, ist es hier notwendig, die Frage nach der Authentizität eines Werkes in feinen Zwischenstufen zu erfassen und zu bewerten. Wir unterscheiden u. a.: Original, Replik, Werkstattwiederholung, Ricordo, von fremder Hand überarbeitetes Original, Gemeinschaftsarbeit, Kopie von fremder Hand, aus dem Umkreis (circle of), Werk eines Nachfolgers (follower of), Nachahmung (manner of) und Fälschung.

Die wissenschaftliche Redlichkeit erfordert es, darauf hinzuweisen, dass es auch Zweifelsfälle gibt, die nach heutigem Stand der Forschung nicht geklärt werden können.

Neben der Frage der Eigenhändigkeit hat das AKRP viele neue Erkenntnisse zur Werkstattsituation der Künstlerin und zu ihren Auftraggebern gewonnen. Intensive Archivrecherche und Provenienzforschung zu den Einzelwerken ermöglicht es, Zu- und Abschreibungen zu untermauern.

Die Flut der nicht eigenhändigen Werke, die als vermeintliche Arbeiten Kauffmanns im Umlauf sind, erschwert die Sicht auf das Gesamtwerk und zeigt, dass eine Klärung auch mit Hilfe naturwissenschaftlicher Analysen dringend notwendig ist. Es macht deutlich, dass die Klärung des Œuvres nur von einer Forschungsstelle aus möglich ist, die sowohl von Marktinteressen als auch vom Druck eines schnelllebigen Eventbetriebes unabhängig ist.

Das AKRP kann sich dabei auf neueste technologische Untersuchungsmethoden stützen. Diese ersetzen das kunstwissenschaftlich-kennerschaftliche Urteil und die hermeneutische Herangehensweise als Wissenschaft der Auslegung nicht.

Das Werkverzeichnis unterscheidet sich grundlegend von der Werkliste durch die wissenschafts-kritische Vorgehensweise. Während Werklisten, die heute vielfach im Internet abrufbar sind, oft kaum mehr als das fleißige, unkritische Zusammentragen von Objekten darstellt, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, jeden unserer Arbeitsschritte zur Erstellung eines Werkverzeichnisses kritisch zu hinterfragen und einer Prüfung zu unterziehen, sowohl in Hinblick auf unsere Recherchemethoden und -materialien, unsere Auswahl-, Beschreibungs- und Ordnungskriterien, unsere Begrifflichkeit und Struktur der Katalogisierung, als auch auf unser Gesamtkonzept des Kataloges.

Oftmals ist die Sicherung der Fakten schon ein Kraftakt für sich, die Prüfung der Fakten aber macht je nach Forschungslage unterschiedliche Tiefengrade erforderlich. Hier ist das AKRP auf viele kluge Köpfe angewiesen.

Ein wichtiges Kriterium für einen Catalogue Raisonné ist die Vollständigkeit. Vielfach ist es üblich, nur die gesicherten Werke aufzunehmen und allenfalls einige zweifelhafte Werke im Anhang aufzulisten. Unsere Vorstellung von Vollständigkeit reicht weiter: Neben den gesicherten und den zweifelhaften Werken, sollten auch die abgeschriebenen Werke soweit wie möglich Erwähnung finden und dabei die Kriterien der Zu- und Abschreibung transparent gemacht werden. Nur so kann der jahrzehntelange Kreislauf der Falschzuschreibungen durchbrochen werden.

Zunächst erfolgt die Materialerhebung und Dokumentation aller eigenhändigen, ungesicherten und falsch zugeschriebenen Fälle mit Datenbanken zur Provenienz, Primär- und Sekundärliteratur, einem Personen- und Ortsregister.

Dafür wurden seit 1982 zahlreiche Forschungsreisen innerhalb Europas, einschließlich Russlands und in die USA unternommen. Sie garantieren eine Forschung aus erster Hand an den originalen Werken und Quellen. Bis heute tauchen immer wieder verschollen geglaubte Werke auf, deshalb wird das Sammeln und Dokumentieren weiter fortgesetzt.

Vor den Originalen wird neben der kunstwissenschaftlichen Begutachtung eine naturwissenschaftlich-technologisch Untersuchung in Zusammenarbeit mit Inken M. Holubec vorgenommen, der eine intensive Nachbearbeitung und kunstwissenschaftliche Analyse folgen.

Inzwischen hat das AKRP zahlreiche systematische Untersuchungen an Originalen sowohl an der Forschungsstelle in Düsseldorf als auch im In- und Ausland durchgeführt. Dabei ist es vielfach sehr freundlich von den Kolleginnen und Kollegen in den öffentlichen Museen und Sammlungen unterstützt worden.

Hierbei kommen Untersuchungen unter Auflicht und Streiflicht, Vergrößerungen sowie strahlentechnische Methoden wie Ultraviolett-Fluoreszenz-, Infrarot- und Röntgenuntersuchungen zum Einsatz. Makroaufnahmen unterstützen den genauen Blick auf die Feinstrukturen des Werkes und die spezifische Handschrift der Künstlerin.

Abb. 50 Schichtquerschliff einer Probe v. Hektor wirft Paris Weichlichkeit vor, 1770, Chur, Bündner Kunstmuseum ©Mikroanalytischen Labor Prof. Dr. Elisabeth Jägers und Dr. Ehrhard Jägers
Abb. 50 Schichtquerschliff einer Probe v. Hektor wirft Paris Weichlichkeit vor, 1770

In einigen Fällen werden kleinste Malschichtproben entnommen und mikroanalytisch untersucht. Die Anfertigung von Schichtquerschliffen erfolgt durch ein spezialisiertes Labor. Hier kann die Element- und Bindemittelzusammensetzung der Proben anhand von Auflicht- und UV-Mikroskopie, Rasterelektronenmikroskopie, energiedispersiver Röntgenspektroskopie (EDX) und Fourier transformed Infrarotspektroskopie (FTIR) bestimmt werden (Abb. 50, PDF-Datei).

Die Themenschwerpunkte bei den Untersuchungen liegen u. a. in der Bestimmung und Rekonstruktion des Malschichtaufbaus von der Wahl des Bildträgers über die Vorbereitung des Maluntergrundes bis zur Pigment- und Farbstoffpalette in Abhängigkeit vom Arbeitsort und der Werkphase.

Die technologischen Informationen lassen Rückschlüsse auf Bezugsquellen und Handelswege im ausgehenden 18. Jahrhundert sowie auf die individuelle Arbeits- und Malweise der Künstlerin in den verschiedenen Werkphasen zu. Sie dienen als Hinweis zur „Händescheidung“ bei Gemälden aus dem Werkstattumfeld, der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und der Abgrenzung von zeitgenössischen oder späteren Repliken und Kopien. Ebenso dokumentiert werden der Erhaltungszustand der Objekte und spätere Veränderungen und Schäden.

Das AKRP sammelt diese naturwissenschaftlichen und technologischen Erkenntnisse zu den Einzelwerken in einer Datenbank. Die genauen Untersuchungen am Objekt helfen auf lange Sicht eine Statistik in Bezug auf Angelika Kauffmanns Verwendung von Leinwänden und anderen Bildträgermaterialien, von Grundierungen, Bindemitteln, Pigmenten, Firnis, Stützsystemen oder Zierrahmen aufzubauen. Die technologischen Daten und Informationen werden kontinuierlich erweitert um naturwissenschaftliche Untersuchungen von Pigmentproben und Malschichtaufbauten, die im Mikroanalytischen Labor Prof. Dr. Elisabeth Jägers und Dr. Erhard Jägers durchgeführt werden (Abb. 51).

Abb. 51 Spannrand v. Bildnis Kronprinz Ludwig I. v. Bayern, München, Bayr. Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek ©Inken M. Holubec
Abb. 51 Spannrand v. Bildnis Kronprinz Ludwig I. v. Bayern

Die Ergebnisse werden in Bezug zu historischen maltechnischen Quellen und Werken zeitgenössischer Künstler sowie der aktuellen internationalen Forschung zur Maltechnik des 18. Jahrhunderts gesetzt. Damit hofft das AKRP auch einen Beitrag zur Erforschung historischer Malmittel und Maltechniken des Klassizismus zu leisten.

Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass diese naturwissenschaftlich-kunsttechnologischen Analysen zwar helfen können, die Zuschreibungsfragen zu verobjektivieren und durch Fakten zu stützen, sie ersetzen jedoch nicht das kunsthistorische Urteil oder die ästhetische Bewertung.